Ausgepackt Grundlagenwissen Werkzeug

Erste Gehversuche mit chinesischen Stemmeisen

Etliche Diskussionen im Bekanntenkreis über den hohen Preis von brauchbarem Werkzeug für das Holzwerken haben mich dazu veranlasst, mir interessehalber einen Satz chinesische Stemmeisen zu kaufen.

Chinabeitel17Es sollten aber unbedingt billige Stemmeisen sein.  Denn laut landläufiger Meinung sind die Stemmeisen von Meister Shi (und auch andere chinesische Werkzeuge) nur dann echt, wenn diese wirklich spot-billig sind. 😉

Diese Anforderung bedeutet, dass ein Besuch beim Verkäufer der Erzeugnisse von Meister Shi Lai Tan nötig ist. In unserem Fall ist dies der nächste LIDL-Supermarkt. Dort fand sich in der Werkzeug-Grabbelkiste ein Satz Stechbeitel für den sagenhaften Preis von 7,95 EUR.

Chinabeitel01Müssen also echt chinesische Beitel sein. Wirklich?

Auf der Packung steht „Quality Steel“ und „Handles from European Ash“. Und was denkt der gewöhnliche Heimwerker wenn er das liest? „Hm, wenn die Griffe aus europäischer Esche sind, dann sind wohl auch die ganzen Beitel aus Europa“. Keine Sorge, dem ist nicht so. Es sind tatsächlich echte chinesische Beitel. Denn Meister Shi kauft das Eschenholz in Europa, lässt es im Container für kleines Geld zurück nach China schippern und macht draus seine Griffe.

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Ob das tatsächlich die Tiao-An Toolfactory ist? Wohl eher nicht denn das Foto wird auf über 200 chinesischen Firmenwebseiten als Firmengebäude gezeigt.

Diese montieren dann seine Gehilfen an Beitelklingen die Meister Shi zuvor in der Tiao-An Tool Factory aus chinesischem CV-Stahl geschmiedet und sorgsam vorgeschliffen hat.

Chinabeitel04Jetzt kommen noch die Beauftragten der europäischen Handelskontore ins Spiel. Diese wünschen vom Meister Shi dass er die Beitelgriffe und Klingen(!) mit einer dicken Schicht eines schnelltrocknenden Klarlacks versieht. Mit den Beiteln im Supermarkt ist es nämlich wie mit den Pink-Lady-Äpfeln: Gekauft wird nur was schön glänzt, alles andere ist Nebensache.
Es folgt noch das Aufdrucken eines wohlklingenden Namens auf Griff und Klinge. Schnell eine schöne Blisterverpackung drumrum und schon kommt alles wieder in einen Container und wird nach Europa verschifft.

Einige Monate später liegen die Erzeugnisse von Meister Shi und seinen Gehilfen aus der Tiao-An Tool Factory in der LIDL-Grabbelkiste und warten dort auf den geneigten Käufer.

Das Schärfen

Nach dem Auspacken der Erzeugnisse von Meister Shi folgte zuerst eine kurze Arbeitsprobe mit den Beiteln. Die Schärfe der Beitel ist ausreichend für grobe Zimmerarbeiten aber für das Holzwerken ist das nicht wirklich brauchbar. (Das gilt übrigens für praktisch alle Beitel die man kaufen kann – egal ob japanische Edelteile oder europäische Mittelklasse – man muß diese vor Gebrauch IMMER erst mal schärfen)

Chinabeitel02Wenn die Holzfasern nach dem Schnitt an der Schneide haften ist das kein gutes Zeichen. Für richtiges Holzwerken ist so ein Beitel viel zu stumpf!
Es ist deutlich zu erkennen dass diese Beitel zwar mit einem Nass-Bandschleifer geschliffen wurden, aber „Scharf“ ist anders. Daher muß an das Erzeugnis von Meister Shi noch ein wenig Hand angelegt werden.

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Mit Nass-Schleifpapier das auf eine Granitfliese aufgelegt ist wird die Spiegelseite der Beitel poliert. Es geht los mit 180er Körnung. Dabei wird der Beitel an der Kante geführt, sodaß die Klinge flächig aufliegt. Der Druck wird auf das vordere Drittel der Klinge ausgeübt. (So eine Granitfliese kann man für wenig Geld wenn nicht sogar als kostenloses Muster im Baumarkt bekommen)

Schon nach wenigen Zügen entsteht ein polierter Streifen an der Vorderkante. Das zeugt von einem recht guten Eisen ohne grobe Verzüge.

Chinabeitel07Anschließend wird der Vorgang mit 400er, 1000er und zum Schluß noch 2000er Nassschleifpapier wiederholt. Das Ergebnis ist eine auf den vorderen 2-3 mm spiegelblanke Rückseite – daher auch der Name „Spiegelseite“. Es muß nicht die ganze Rückseite poliert werden, der vordere Bereich um die Scheide herum genügt.

Ja, man kann hier auch mit Wassersteinen schleifen und ja, das Ergebnis wird nochmal einen Tacken besser als mit Nasschleifpapier. Aber ich möchte hier einmal zeigen dass man auch mit wenig Geld und Mitteln aus dem Baumarkt zu brauchbar scharfen Stechbeiteln kommen kann.

Chinabeitel13Dann ist die Fase der Schneide an der Reihe. Hier wird mit der preiswerten Zweibacken-Schleifführung von Dictum gearbeitet. Die Beitel sollten eine Fase von 25 Grad haben, tatsächlich sind es bei diesem Meisterwerken aber Winkel zwischen 23 und 26 Grad. Teilweise muß also relativ viel Material abgeschliffen werden. Mit ein wenig Geduld ist das aber zu schaffen.

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Auch hier wird wieder mit 400er, 1000er und zum Schluß noch 2000er Papier gearbeitet. Das Ergebnis ist eine scharfe Schneide, die auch Hirnholz problemlos bearbeitet.

Die Veredelung

Was nun folgt ist für das erfolgreiche Arbeiten mit diesen chinesischen Stechbeiteln nicht zwingend notwendig, aber es lässt die Werke von Meister Shi in ungeahntem Glanz erstrahlen.

Zuerst wird die Beschriftung auf der Oberseite der Beitelklingen abgeschliffen. Dies erfolgt ebenfalls mit Nassschleifpapier auf der Granitfliese. Zuerst mit 180 und dann mit 400er Körnung – mehr ist nicht nötig. Um den Klarlack komplett von der Klinge zu entfernen wird diese auch an den Seitenflächen kurz mit der 400er Körnung überschliffen. Aber Achtung: Die Klingen sind NICHT rostfrei. Daher sollte entweder das Werkzeug regelmäßig mit einem Multifunktionsöl gepflegt werden oder man lässt den Klarlack drauf.

Anschließend werden die Eschenholzgriffe von ihrem rauhen, etwas glitschigen Klarlack und der hässlichen Beschriftung befreit. Das ist ein Arbeitsschritt der die Handhabung der Beitel deutlich angenehmer macht.

Chinabeitel16Die Beitel werden senkrecht mit der Klinge eingespannt. Mit einem Streifen 100er Schleifleinen kann der Lack in wenigen Zügen abgeschliffen werden.

Chinabeitel15Damit die Beitel trotz der runden Griffe später nicht von der Werkbank rollen können, bekommen diese am oberen Rand noch Abflachungen. Diese werden mit dem Taschenhobel ausgeführt. Wer keinen Hobel hat, kann auch einen der anderen Beitel nehmen und vorsichtig die Fläche herausarbeiten.
Zum Schluß werden die Griffe noch mit 240er Schleifpapier geglättet und mit Leinölfirnis behandelt. Dies bringt den Glanz des Eschenholzes so richtig zur Geltung.

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Und hier liegen sie nun, die echt chinesischen Beitel aus Meisterhand. 😉

Mein Fazit

Ein Vierer-Satz Stechbeitel für 7,95 EUR bei LIDL ist einfach nur krass billig. Das sind gerade mal 2 EUR pro Stemmeisen! Die Qualität die da aus der Schachtel kommt ist in Anbetracht des Preises erstaunlich gut. Die Zwingen – also die oberen Metalleinfassungen – sind allerdings aus so dünnem Blech, dass diese wohl bei starker Beanspruchung platzen werden. Aber wer nicht gerade stundenlang knochentrockene 100jährige Eichenbalken bearbeitet sollte hier keine Probleme bekommen.
Um ein wirklich brauchbares Werkzeug zu erhalten, muß hier allerdings deutlich mehr Aufwand in das Schärfen gesteckt werden als dies bei einem hochwertigen Markenwerkzeug der Fall ist. Wer hier bereit ist ein etwas mehr Zeit zu investieren bekommt aber eine durchaus brauchbare Erstausrüstung an Stechbeiteln für den Einstieg ins Holzwerken. Viele der gängigen Baumarktbeitel der jeweiligen Hausmarke werden von diesen Stechbeiteln in Bezug auf die Qualität des Eisens deutlich übertroffen.

Für wen kann der Kauf empfohlen werden? Jeder der nur gelegentlich einen Beitel braucht oder der einen zweiten Satz Beitel für „Risikoeinsätze“ bei der Hausrenovierung sucht kann hier bedenkenlos zugreifen. Wer diese Stemmeisen in seiner LIDL-Filiale nicht findet, der kann diese übrigens auch Online bei LIDL bestellen. Und auch bei ALDI sind diese Beitel gelegentlich zu finden.

Wie sich diese China-Beitel im echten Einsatz schlagen werde ich zu gegebener Zeit hier berichten. Falls jemand diese Beitel – egal ob LIDL oder die ALDI Variante im Einsatz hat, würde ich mich über einen Kommentar mit seinen Erfahrungen freuen.

Anmerkungen zum Schluß:

Dies ist eine teilweise fiktive und nicht immer ganz ernst gemeinte Geschichte von Meister Shi und seinen chinesischen Stechbeiteln. Ja, ich weiß dass traditionelle chinesische Beitel anders aussehen. Die hier gezeigten Beitel nach europäischem Muster werden von der Fa. Diederich in Wuppertal in China im Kundenauftrag beschafft, importiert und dann an Baumärkte, Supermärkte usw. geliefert.

Und keine Sorge, ich bin nach wie vor dafür bei der Qualität der Werkzeuge keine Abstriche zu machen. Aber ich weiß auch dass gerade Neulinge im Holzwerken oft nur ein begrenztes Budget haben und daher nach bezahlbarem Werkzeug Ausschau halten. Das muß dann kein Spitzenprodukt sein, soll aber trotzdem zu brauchbaren Arbeitsergebnissen führen. Daher dieser Artikel.

Mein Dank geht an Heiko Rech für seinen Artikel zu den japanischen Stechbeiteln und an Paul Sellers für seine Artikel über die ALDI-Chisels. Diese beiden Beiträge der Blogger haben mich zu diesem Artikel inspiriert.

8 Kommentare zu “Erste Gehversuche mit chinesischen Stemmeisen

  1. Hallo Wolfram,

    ich habe mir diese „Aldi Chisels“ auch gekauft. Besser gesagt über einen netten Holzwerker, da sie nur bei Aldi Nord zur Verfügung standen. Freundlicherweise hat er mir sogar noch die Spiegelseite abgezogen vor Lieferung 🙂

    Was soll ich sagen: Für mich funktionieren sie sehr gut. Ich bin aber auch nicht der „Hand-Werker“ sondern entferne damit Bügelumleimer, mal einen Dübelkopf.

    Anfangs habe ich auch mit Nass Schleifpapier rumprobiert, was mich aber nervte. Das Gerutsche und oft war sehr schnell ein Riss drin. Ich habe mir dann einen billigen 180 er Stein (China) und einen günstigen 1000/6000 Stein gekauft. Das funktioniert für mich nun sehr gut. Allerdings brauche ich die auch nur 2 mal im Jahr 🙂 Ich wende auch den „Rouler Trick“ an (Heiko Rech hat ihn mal beschrieben.)

    Und abrichten musste ich die Steine auch noch nicht, was meines Erachtens oft zu „hoch angesetzt“ wird.

    Toller Beitrag, Danke

    Gruß Andi

    • Hallo Andi, der Trick bei Nassschleifpapier liegt darin dass man die Kleber auf der Rückseiet des Schleifpapiers entfernt und dann mit einem dünnen Wasserfilm das Blatt flächig auf die Granitfliese drückt. Das sorgt für eine flächige Haftung und damit reißt auch das Papier nicht mehr so schnell ein. Aber ja, ein paar Schleifsteine – z.B. so ein SUN TIGER Kombistein 1000/6000 ist natürlich die bessere Wahl – und auf Dauer auch biliger.

  2. Toller Artikel Wolfram!
    Passt thematisch zu meinen (negativ-) Erfahrungen mit den Aldi-Einhandzwingen (https://kellerwerker.de/?p=2345)
    Ich denke auch das nicht grundsätzlich alles schlecht ist was billig ist. Es kommt wohl immer auf den Einsatzzweck und die Bereitschaft an, wie viel Arbeit man investieren will.
    Herzliche Grüße
    Frank

  3. Hallo Wolfram,

    genau diese hatte ich auch (Du erinnerst Dich an unsere Email-Korrespondenz? :-)). Demnächst sollen die hier auch noch mal im Angebot sein. Ich denke, da werde ich doch noch mal zuschlagen.

    • Ja ich erinnere mich 😉 Das Angebot steht noch.
      Schau mal bei Lidl vorbei – das liegen die bei uns in der Region gerade in der Grabbelkiste rum… Vielleicht auch in Berlin?

  4. […] Auch wer keine Stemmeisen benutzt sollte diesen interessanten und lustig geschriebenen Artikel lesen. Hat man sich ein wenig vom Spaß erholt, erfolgt eine 1A Anleitung zum Schleifen von Stemmeisen. Saubere Arbeit von Holz und Leim. https://www.holzundleim.de/2014/12/erste-gehversuche-mit-chinesischen-stemmeisen/ […]

  5. Diese Eisen haben es ja schon zu einiger Berühmtheit geschafft 🙂 Zwei Tage nach deinem Artikel wurden sie auch am „anderen Ende der Welt“ bei Popular Woodworking in den USA erwähnt.
    Bei Lidl-Online sind sie zur Zeit ausverkauft, aber ich glaube ich schaue in der Woche mal beim Lidl um die Ecke rein, vielleicht habe ich ja Glück.
    Sehr gute Idee die Griffe von Lack und Beschriftung zu befreien, wirkt schon sehr viel angenehmer auf den Bildern.

    • Ja, die LIDL Leute hatten am Sontag noch den Preis von 7,95 auf 7,45 gesenkt und jetzt sind die ausverkauft.. Da müssen wohl eine Menge Holzwerker eine Bestellung getätigt haben.

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